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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 27.04.2001
Aktenzeichen: 14 U 187/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 809 | |
BGB § 909 | |
BGB § 195 | |
BGB § 1004 | |
ZPO § 890 | |
ZPO § 927 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 929 Abs. 2 |
2. Der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB unterliegt als solcher zwar nicht der Verjährung. Indessen kann mit der Verjährung des Hauptanspruchs, dessen Durchsetzung der Besichtigungsanspruch dienen soll, das Informationsbedürfnis und damit das schutzwürdige Interesse an der Besichtigung entfallen.
3. In der Zustellung der Urteilsverfügung von Amts wegen liegt keine Vollziehung der einstweiligen Verfügung, sie ist lediglich Voraussetzung für die Vollziehung.
4. Wurde gegen den Antragsgegner eines selbständigen Beweisverfahrens eine einstweilige Verfügung erwirkt, wonach er bestimmte der Beweiserhebung dienende Maßnahmen zu dulden hat, so liegt in der an das Gericht, bei dem das Beweisverfahren anhängig ist, gerichteten und in Doppel an den Antragsgegner / Verfügungsbeklagten gegangenen Aufforderung, dem Beweisverfahren in Hinblick auf die ergangene einstweilige Verfügung Fortgang zu geben, ein Vollziehen der einstweiligen Verfügung im Sinne von § 929 Abs. 2 ZPO.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Zivilsenat in Freiburg Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am: 27. April 2001
In Sachen
wegen einstweiliger Verfügung
hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 14. Zivilsenat in Freiburg - auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2001 durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Offenburg vom 15.09.2000 - 2 O 308/00 - wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Verfügungsbeklagte trägt auch die Kosten der Berufung.
Tatbestand:
1. Zwischen dem Grundstück der Verfügungskläger und dem darunter gelegenen benachbarten Grundstück der Verfügungsbeklagten liegt ein Steilhang, der im Anschluß an seitens der Beklagten im Januar 1995 vorgenommene ungesicherte Abgrabungen ins Rutschen geriet. Die Beklagte hat zwar in Eigenarbeit Hangsicherungsmaßnahmen vorgenommen, die Kläger bezweifeln aber, ob dies fachmännisch und einwandfrei geschehen ist. Zwischen den Parteien wurde über Jahre hinweg in dieser Sache korrespondiert.
2. Auf Antrag der Kläger vom 03.12.1999 hat das Landgericht im selbständigen Beweisverfahren 2 OH 55/99 mit Beschluß vom 11.01.2000 (dort As. 21/25) Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Rutschsicherheit des Hanges und dazu, welche Maßnahmen zur Beseitigung einer etwaigen Gefahr erforderlich sind, angeordnet. Nach einer Ortsbesichtigung hat der vom Landgericht beauftragte Gutachter Dr. W. mit Schreiben vom 21.03.2000 (As. 67/71) dem Gericht mitgeteilt, es sei nicht unwahrscheinlich, daß die bisherigen Sicherungsmaßnahmen unzureichend seien, zur endgültigen Überprüfung seien aber Erkundungsbohrungen erforderlich. Mit Schreiben vom 12.07.2000 (As. 107) hat der Gutachter mitgeteilt, in Absprache mit den Anwälten der Beteiligten solle ein weiterer Ortstermin, bei dem auch mit den Bohrungen begonnen werden solle, am 25.07.2000, 09.00 Uhr, stattfinden. Diesen Termin hat der Sachverständige mit Fax vom 24.07.2000, 17.56 Uhr, (As. 133) abgesagt, nachdem kurz zuvor der Anwalt der Beklagten mitgeteilt hatte, diese verweigere das Betreten ihres Grundstücks, solange nicht sichergestellt und ihr bestätigt worden sei, daß durch die Bohrung keine Hangrutschung ausgelöst werden könne.
3. Auf Antrag der Verfügungskläger vom 07.08.2000 (I 1/7) hat das Landgericht durch - das mit der Berufung angefochtene - Urteil vom 15.09.2000 der Verfügungsbeklagten aufgegeben, in dem selbständigen Beweisverfahren zum Zwecke der Durchführung der gerichtlichen Beweissicherung dem Sachverständigen und seinen Hilfspersonen sowie den Klägern und ihrem Anwalt das Betreten ihres Grundstücks zu gestatten; für jeden Fall der Zuwiderhandlung wurde Ordnungsgeld oder Ordnungshaft angedroht. Das Urteil ist dem Prozeßvertreter der Beklagten am 21.09.2000 von Amts wegen zugestellt worden (I 91). Eine Parteizustellung ist nicht erfolgt. Jedoch hat der Anwalt der Kläger im Verfahren 2 OH 55/99 mit Schriftsatz vom 21.09.2000 (dort As. 151) unter Hinweis auf die Urteilsverfügung des Landgerichts vom 15.09.2000 gebeten, die Beweiserhebung fortzusetzen und den Sachverständigen zur Erstellung des Gutachtens aufzufordern. Daraufhin hat das Landgericht unter dem 26.09.2000 mitgeteilt, bevor weitere Maßnahmen getroffen würden, solle der Ablauf der Berufungsfrist im Verfügungsverfahren abgewartet werden (dort As. 152 = II 193).
4. Die Verfügungsbeklagte vertritt die Auffassung, das Landgericht habe die einstweilige Verfügung zu Unrecht erlassen. Jedenfalls aber sei die einstweilige Verfügung deshalb aufzuheben, weil sie nicht rechtzeitig vollzogen worden sei. Sie beantragt,
das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 15.09.2000 dahin abzuändern, daß der Verfügungsantrag zurückgewiesen wird.
Die Verfügungskläger beantragen
Zurückweisung der Berufung.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Mit Recht hat das Landgericht die Voraussetzungen für den Erlaß der von den Klägern beantragten einstweiligen Verfügung (§ 940 ZPO) bejaht. Diese ist auch nicht wegen veränderter Umstände (§ 927 ZPO) aufzuheben.
1. Ein Verfügungsanspruch ist entgegen der Auffassung der Beklagten glaubhaft gemacht.
a) Richtig ist zwar, daß keine prozessuale Verpflichtung der Antragsgegnerin im selbständigen Beweisverfahren - der jetzigen Verfügungsbeklagten - besteht, an der Beweiserhebung mitzuwirken. Jedoch kann sich - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - ein gegen die jetzige Beklagte gerichteter Anspruch der Antragsteller im selbständigen Beweisverfahren - der jetzigen Verfügungskläger -, dem Sachverständigen zur Durchführung der erforderlichen Untersuchungen das Betreten des Grundstücks zu ermöglichen, aus § 809 BGB ergeben. Voraussetzung hierfür ist, daß die Klägerseite gegen die Beklagte "einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich Gewißheit verschaffen will, ob ihr ein solcher Anspruch zusteht". Dies ist angesichts dessen der Fall, daß aufgrund der vorgenommenen Abgrabungen möglicherweise die Gefahr des Abrutschens des klägerischen Grundstücks besteht. Anders wäre es zwar, wenn die die Stabilität des Grundstücks der Kläger gefährdenden Abgrabungen ausschließlich auf deren Grundstück erfolgt wären und etwaige weitere Sicherungsmaßnahmen ausschließlich auf diesem Grundstück durchzuführen wären. Denn zur bloßen Vornahme von Messungen zum Zweck der Feststellung, ob und welche Sicherungsmaßnahmen auf dem Grundstück der Kläger durchzuführen sind, gewährt § 809 ein Betretensrecht nicht. Indessen wurde in der mündlichen Berufungsverhandlung von beiden Parteien klargestellt, daß die Abgrabungen und die bisherigen Sicherungsmaßnahmen, um deren Wirksamkeit es geht, ausschließlich auf dem Grundstück der Beklagten erfolgt sind.
b) Die Beklagte befürchtet zwar, daß die im Rahmen des Beweissicherungsverfahrens durchzuführenden Bohrungen zu weiteren Rutschungen führen werden. Dieser Gesichtspunkt gewährt ihr indessen schon deshalb kein Recht, den Sachverständigen nicht auf ihr Grundstück zu lassen oder das Betreten von Sicherheitsleistungen abhängig zu machen, weil auf ihrem Grundstück nur Meßarbeiten, nicht aber Bohrungen durchgeführt werden sollen (vgl. die beiden letzten Sätze des vorletzten Absatzes auf S. 2 der Aktennotiz des Sachverständigen Dr. W.l vom 26.07.2000 im Verfahren 2 OH 55/99 Landgericht Offenburg [dort As. 143], wo es heißt: ".... ist zu berücksichtigen, daß die Bohrung ausschließlich auf dem Grundstück der Kläger und nicht auf dem Grundstück der Beklagten ausgeführt wird. Die Vermessungsarbeiten werden jedoch auf beiden Grundstücken auszuführen sein."). Aus diesem Grunde entfällt ein Besichtigungsanspruch auch nicht unter dem Gesichtspunkt, daß die Untersuchung nicht zu einer dauerhaften Beschädigung des Grundstücks führen darf (vgl. Marburger, in: Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1997, Rnr. 8 zu § 809).
c) Die von der Verfügungsbeklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch. Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, daß der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB als solcher nicht der Verjährung unterliegt, denn mit der Verjährung des Hauptanspruchs, dessen Durchsetzung er dienen soll, entfällt das Informationsbedürfnis und damit das schutzwürdige Interesse an der Besichtigung (vgl. die Nachweise bei Marburger, aaO, Rnr. 4 vor §§ 809 ff.). Im vorliegenden Fall kommen als Hauptansprüche - inhaltsgleiche - Beseitigungsansprüche aus § 909 BGB und § 1004 BGB in Betracht (Palandt/Bassenge, BGB, 60. Aufl. 2001, Rnr. 9 zu § 909 m. w. N.). Diese verjähren - wenn man nicht annimmt, daß sie wegen fortdauernder Einwirkung ohnehin ständig neu entstehen - nach 30 Jahren (§ 195 BGB). Sie sind somit keinesfalls verjährt.
2. Ein Verfügungsgrund ist deshalb gegeben, weil, wie sich aus den bisherigen Ausführungen des Sachverständigen ergibt, ohne baldige Durchführung des Beweisverfahrens - dieses ist Voraussetzung für die Vornahme sachgerechter Sicherungsmaßnahmen - die Gefahr eines Abrutschens des im Eigentum der Kläger stehenden Grundstücks besteht. Er ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht etwa deshalb zu verneinen, weil seit dem durch die auf dem Grundstück der Beklagten erfolgten Abgrabungen ausgelösten Erdrutsch bereits mehrere Jahre vergangen sind. Denn Anlaß für die Beantragung der einstweiligen Verfügung bestand erst, nachdem die Beklagte dem Sachverständigen das Betreten des Grundstücks untersagt hatte. Das war am 24.07.2000. Der Antrag auf Erlaß der einstweiligen Verfügung wurde daraufhin zeitnah am 07.08.2000 gestellt.
3. Die einstweilige Verfügung ist nicht deshalb unzulässig, weil durch ihre Vollziehung die Hauptsache - die Beweissicherung - vorweggenommen wird. Das Landgericht hat dies im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt. Darauf wird Bezug genommen.
4. Zu Unrecht vertritt die Beklagte die Auffassung, die einstweilige Verfügung sei jedenfalls mangels Parteizustellung nicht vor Ablauf eines Monats vollzogen worden und jedenfalls deshalb aufzuheben (§ 936 i. V. m. §§ 927, 929 Abs. 2 ZPO).
Richtig ist allerdings, daß in der erfolgten Zustellung der Urteilsverfügung von Amts wegen keine Vollziehung der einstweiligen Verfügung liegt (ganz herrschende Meinung: eingehend BGHZ 120, S. 73 ff., 79 ff.; Addicks, MDR 1994, S. 225 ff.; Musielak/Huber, ZPO, 2. Aufl. 2000, Rnr. 4 zu § 936; Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl. 2000, Rnr. 12 zu § 929). Die Zustellung von Amts wegen stellt eine Amtshandlung des Gerichts dar, die Voraussetzung für die Vollziehung einer Urteilsverfügung ist (§§ 936, 928, 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Vollziehung ist dagegen ein Gebrauchmachen von der einstweiligen Verfügung durch den Gläubiger. Wegen des Zwecks der Regelung nach § 929 Abs. 2 ZPO, dem Schuldner innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Klarheit zu verschaffen, ob der Gläubiger den ihm mit der einstweiligen Verfügung gewährten Rechtsschutz in Anspruch nehmen will oder nicht, können als Vollziehung im Sinne der genannten Vorschrift nur solche Akte des Gläubigers angesehen werden, die seinen "Gebrauchmachungswillen" hinreichend deutlich machen.
Daß einer Parteizustellung diese "Klärungsfunktion" zukommt, sie also bei Urteilsverfügungen "Vollziehung" ist, steht außer Frage und wird von niemandem in Zweifel gezogen. Die früher streitige Frage, ob auch andere Gläubigerhandlungen als Vollziehungsakte geeignet sind, ist seit BGHZ 120, S. 73 ff. geklärt. Streitig ist nur noch, ob als Gebrauchmachen im genannten Sinne - neben der Parteizustellung - noch andere Gläubigerakte als der vom BGH aaO, S. 82, genannte Antrag nach § 890 ZPO in Betracht kommt. Dies ist mit der überwiegenden Meinung zu bejahen (vgl. etwa Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl. 1999, Rnr. 9 zu § 936: danach genügen Anträge nach §§ 883, 887, 888; ebenso Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 1995, Rnr. 22 zu § 929). Mit der somit als Gebrauchmachungs- und damit als Vollziehungsakt anzusehenden Einleitung von Vollstreckungsakten ist aber die im vorliegenden Fall von den Gläubigern an das Landgericht gerichtete und in Doppel an die Verfügungsbeklagte gegangene Aufforderung, dem Beweissicherungsverfahren Fortgang zu geben, durchaus zu vergleichen. Damit ist die einstweilige Verfügung innerhalb der Frist nach § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen worden, für eine Aufhebung nach § 927 ZPO besteht mithin kein Anlaß.
II.
Nach alle dem war die Berufung der Verfügungsbeklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Dem Antrag auf Zulassung der Revision - S. 4 des Beklagten-Schriftsatzes vom 04.04.2001 - war schon deshalb nicht zu entsprechen, weil die Revision nicht statthaft wäre (§ 545 Abs. 2 ZPO; vgl. Thomas/Putzo, aaO, Rnr. 5 zu § 545).
Ende der Entscheidung
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